Bafög-Mann, ich suche dich. Ich schlage mich durch den digitalen Dschungel, ich frage Menschen, die behaupten, dich schon einmal kontaktiert zu haben. Aber Bafög-Mann, sie halten sich bedeckt. Keiner kann mir so richtig sagen, wo genau du steckst und wie ich mit dir sprechen kann. Ach, Bafög-Mann – ich will doch nur ein bisschen Nähe!
Endlich, oh Bafög-Mann, endlich finde ich eine Spur von dir, achtlos in einem Nebensatz eingestreut: „Für weitere Informationen stehen Ihnen unter der Nummer 0511-872837 Kollegen zur Verfügung.“
Mit einem hoffnungsvollen Lächeln greife ich nach meinem Telefon, gleich, oh Bafög-Mann, gleich werde ich mit dir verbunden sein und alles wird gut! Die Nähe zwischen uns, die Chemie, das wird unglaublich, ein Feuerwerk, ein Vulkanausbruch!
Du wirst mir ein einziges Formblatt mailen, auf dem ich meinen Namen und meine Bankverbindung eintrage, auf dem zwei Kästchen zum Ankreuzen sein werden und zwar: „Ich möchte bitte Bafög haben“ und „Ich möchte bitte Bafög haben, danke!“.
Dann werde ich das zweite Kästchen ankreuzen, ein Herzchen daneben malen, liebevoll die Briefmarke anlecken und am morgen darauf wirst du mit einer Wäschewanne voll frisch gedruckter, von dir gebügelter Geldscheine vor meiner Tür stehen, oh wird das schön, Bafög-Mann!!!
In freudiger Erwartung tippe ich die Nummer ein, 0511-872837, und während ich so tippe, fällt mir auf, dass man die Nummer im Handytastenalphabet auch als 0511-TRAUER lesen könnte…
Das bedeutet bestimmt nichts.
Oh Bafög-Mann, es tutet schon in der Leitung! Gleich ist es soweit…
„JA?!“ bellt ein Troll ins Telefon und erschrocken reiße ich die Augen auf und den Kopf zurück. „Ha- Hallo? Lena Beulshausen hier, ich wollte Sie gerne um ein paar Informationen zum Aufstiegs-Bafög bitten…“
„Was denn?! Steht doch alles auf der Website! Formulare ausfüllen, abschicken und ganz wichtig: NIE! WIEDER! HIER! ANRUFEN!“ schnappt es zurück und dann ist die Leitung tot.
Bafög-Mann…? Bafög-Mann? Bafög-Mann?! Warst du das etwa gerade? Warum, Bafög-Mann? Warum willst du nicht mit mir sprechen?! Es hätte so schön sein können, Bafög-Mann, du und ich und die Wäschewanne voller Geldscheine…
Ich bin verstört, drucke mir siebzehn Formulare aus und stelle fest, dass sie selbst auf höchster Qualität alle grau und trist aussehen und dass es ungefähr sechshundert Kästchen zum ankreuzen gibt, auf jeder Seite. Seufzend greife ich zum Telefon, ich werde wohl Opa fragen müssen, welche Schuhgröße seine Großtante hatte. Für Formblatt L93… Ach, Bafög-Mann.
Wochen später habe ich endlich alles fertig ausgefüllt, es ist mittlerweile Mitte des Jahres. Meine Maßnahme wird in fünf Monaten beginnen und vielleicht, lieber Bafög-Mann, wird es dir besser gehen.
Bestimmt hattest du einfach nur einen wirklich schlechten Tag?
Vielleicht war die Brotdose, die deine Frau dir liebevoll gepackt hatte, in der Teeküche deines Büros heruntergefallen – sie war zwar nicht aufgegangen, aber die Salamiherzen auf deinem Vollkorngerster sind verrutscht und du weißt ja, wie viel Mühe sich Bafög-Mann-Frau jeden Morgen damit gibt und du warst enttäuscht von dir selbst?
Oder vielleicht, ja vielleicht – warst das ja gar nicht du am Telefon, Bafög-Mann?
Vielleicht war das der fiese Versicherungen-Mann von gegenüber, der dir einen Streich spielen wollte, weil du ihm an dem morgen einen Kaffee mitgebracht hattest und sogar daran gedacht hast, dass er laktoseintolerant ist und auf laktosefreier Milch beim Kaffeeeeeeeeröster bestanden hattest und du einfach so perfekt bist, dass Versicherungen-Mann neidisch auf dich war?
Vielleicht war das so. Vielleicht, mein lieber Bafög-Mann.
Auf jeden Fall male ich heimlich, auf die vorletzte Seite meines Antrages, neben das Kästchen für meine Welt- und Unweltkunde-Note der fünften Klasse, ein Herzchen und schicke endlich die Formulare weg.
Morgen bist du mit der Wäschewanne da, ich weiß es, oh Bafög-Mann.
Weitere fünf Monate später glaube ich langsam, du hast mich nicht mehr lieb, Bafög-Mann. Denn meine Maßnahme hat begonnen und alles, was du mir geschickt hast, war ein maschinenerzeugter Brief, ganz ohne Herzchen.
Und es stand auch nur drin, dass noch ganz viele Formulare fehlen. Und dass ich doch wohl wissen müsste, dass ich eine eidesstattliche Versicherung anfügen muss, noch nie einen Panda gehauen zu haben.
Aber ich habe doch auch wirklich noch nie einen Panda gehauen, Bafög-Mann, das schwöre ich! Sofort habe ich die Versicherung verfasst und dir geschickt, Bafög-Mann. Außerdem bin ich wirklich nervös, denn in meiner Maßnahme funktioniert kein Handy, also hab ich einen handgeschriebenen Brief auf pinkem Papier dazugelegt, dass du mir sehr gerne eine Email schicken darfst.
Ich habe mir sogar eine neue Mailadresse für dich eingerichtet, Bafög-Mann! ichschlagekeinepandas@wirklich.net!
Ich wollte dich ja anrufen, aber ich habe mich nicht getraut. Nicht, dass Versicherungen-Mann wieder dran ist und gemein zu mir ist…
Weitere zwei Monate später hat mein Leben keinen Sinn mehr. Ich vegetiere nur noch. Bafög-Mann. du hast mich verlassen. Anders kann es nicht sein.
Eines weiteren tristen Tages ohne ein Lebenszeichen von dir, Bafög-Mann, radle ich nach Hause und steige ab, als plötzlich mein Handy vibriert.
Ich sehe nach und sofort überkommt mich eine heiße Welle der Aufregung. Diese Nummer hat um 10:21h versucht, sie zu erreichen… Diese Nummer… bist das etwa du, Bafög-Mann?!
Aber warum rufst du mich an?! Du weißt, ich kann nicht ans Handy gehen kann, auch wenn ich mich noch so sehr nach deiner Stimme, nach deinen salbungsvollen Botschaften sehne! Warum schreibst du mir denn keine Mail, wie ich dich inständig gebeten habe?
Warum denn, Bafög-Mann, warum?!
Mit zittrigen Fingern wähle ich deine Nummer und drücke auf den grünen Hörer. Ich weiß, dass das falsch ist, ich weiß es einfach und ich fürchte Versicherungen-Mann… Es knackt in der Leitung und ich spüre, wie ich bleich werde.
„Sie sind verbunden mit….“
Das Band. Du bist nicht mehr da. Werde ich jemals von dir hören, Bafög-Mann? Werden wir jemals zusammenkommen, du und ich und die Wäschewanne voller Geldscheine?
Am nächsten Morgen wähle ich erneut deine Nummer, heute wird endlich der große Tag sein, Bafög-Mann, heute werde ich endlich erfahren, wann…!
„Hatte ich Ihnen nicht deutlich genug gesagt, von telefonischen Sachstandabfragen abzusehen?!“
Wer hat dich so verletzt, Bafög-Mann?
(Lena Beule, 2021)